Eine haarige Angelegenheit oder „Cultural considerations“
Monika Snela Deschermaier
Vorgeschichte einer Liebe zu Haaren als Selbstausdruck
Schon immer fand ich Braids toll. So toll, dass ich meine Schwestern, Freundinnen und in ganz frühen Jahren meine Mutter bat, mir viele kleine Zöpfe zu flechten. Da saßen wir dann, im Kreis und flochten uns gegenseitig die Haare.
Dass diese Frisur einen ethnischen Bezug haben könnte, war mir damals nicht so bewusst, obwohl ich die Braids meiner schwarzen Bekannten und Nachbarn immer feierte. Erst in meinem Austauschjahr im mittleren Westen der USA, als ich als 16-Jährige ganz naiv dachte, mir welche vor meiner Rückreise nach Deutschland flechten zu lassen und bei der Frage nach einem passenden Anbieter die extrem rassistische Reaktion meiner Gastmutter erlebte, bekam ich eine Ahnung, dass hinter dieser von mir viel bewunderten Frisur auch eine ethnische Komponente stehen kann. Natürlich kehrte ich aufgrund ihres Verbots ohne Braids heim.
Haare waren für mich schon immer ein Selbstausdruck und damit wie eine Leinwand für meine aktuellen Persönlichkeitsaspekte. Mit polnischer Herkunftsgeschichte waren es auch die mit Blumen oder kunstvollen Schleifen versehene Flechtfrisur oder die Zopfgeschichten, die mein Vater aus seiner Schulzeit erzählte, die mich prägten, denn Haare sind für polnische Frauen und Mädchen immens wichtig, deren Zöpfe in der polnischen Kultur vielbesungen.
Mit großer Dankbarkeit und dem Wissen, dass es ein Geschenk ist, dass ich so tolle Haare haben darf probierte ich so ziemlich alles durch (manchmal auch mit Schuldgefühlen, denn meine Lieblingscousine verlor ihre Haarpracht aufgrund einer Krankheit dauerhaft im Alter von 11 Jahren). Frisuren, Haarfarben und Haarlängen – Hauptsache es gefiel mir. Dieser Selbstausdruck (manchmal auch Rebellion) eckte oft an.
In den späten 90ern, also bereits im Erwachsenenalter, wo mir keiner mehr reinreden konnte, kamen dann endlich die richtigen Braids zu mir, geflochten von der schwarzen Freundin meines besten Freundes. Oh, wie stolz und mit viel Freude ich diese trug. Damals schon in meiner Lieblingsfarbe, in hellblau zu meinem blau-schwarz gefärbten eigenem Haar.
Verflechtungen in der Gegenwart
Nun kamen diesen Sommer wieder Braids in unser Leben. Die beste Freundin meiner jüngeren Tochter hatte Besuch von ihrer nigerianischen Tante, die ihr ihren sehnlichen Wunsch von Braids endlich erfüllte. Die Freude darüber war groß, hatte die 12-Jährige doch sehr mit ihren Afro-Haaren zu kämpfen (schmerzhaftes Kämmen, viele Stunden Aufwand für das Haarewaschen, alle wollen anfassen, uvm.). Unsere Mit-Freude führte dazu, dass unserer Tochter auch das Flechten von Braids angeboten wurde. Endlich konnten die „nicht-biologischen Schwestern“, wie sich die Freundinnen selbst nennen, auch mal im „Sista-Look“ auftreten.
Als ich meine Tochter zu ihrer Braid-Session begleitete und wir Frauen so im Gespräch über Haare, Mode und Kultur waren, fragte die Tante mich, ob ich nicht auch Braids haben will. Natürlich wollte ich! Als sie mir noch Farbe vorschlug, weil die anderen alle keine Farbe wollten, war ich natürlich noch mehr Feuer und Flamme, habe ich doch vor ein paar Jahren entschieden, meine Haare nicht mehr zu färben (und ich vermisste die Buntheit meiner Haare schon).
Freudig hüpfte ich also nach Hause, aber meine Hüpfer wurden immer kleiner. Zu Hause angekommen, war ich mir sicher, das großzügige Angebot ablehnen zu müssen, da ich ja durch meine Diversity-Tätigkeit und durch Medienberichte weiß, dass Weiße* mit Braids durchaus als rassistischer Affront oder zumindest als kulturelle Aneignung gewertet werden können.
Blöde Blicke, Kommentare und auch Ablehnung kenne ich ja aufgrund meiner unterschiedlichen Kleidungs- und Haarstile bereits, die kann ich abschütteln. Aber den eventuellen Rassismusvorwurf? Kann ich damit umgehen, wo ich doch selbst mit allem mir möglichem Bewusstsein für rassismus- und machtkritische Strukturen eintrete? Sehr streng meine eigenen rassistischen Unbewusstheiten in mir selbst und auch bei anderen bewerte?
Haare als Politikum
Haarstile waren schon immer auch politisch. Als Akt der Rebellion, als subkultureller Ausdruck von Abgrenzung, zur Zugehörigkeit, als Statussymbol und nicht zuletzt auch als spiritueller Ausdruck. Heute ist das Bewusstsein für Haarkultur ein ganz anderes. Neben modischen Interessen nimmt in der westlichen Welt das Bewusstsein für die tiefere Bedeutung von Haarkultur einen anderen Raum ein.
Wir leben in einer Zeit, in der Bands wegen weißen Rasta-Trägern in manchen Situationen nicht mehr auftreten dürfen. Eine Frisur, die ursprünglich zur subkulturellen Abgrenzung und als Huldigung der Liebe zum Reggae-Lebensgefühl diente, führt nun zu solchen Debatten, die uns Weiße wiederum zu einem kritischen Hinterfragen unserer Privilegien bringen. Und das ist aus meiner Sicht ein wichtiger Schritt, der allerdings nicht dazu dienen sollte, ein neues System der Unterschiede zu etablieren, sondern vielmehr dazu beitragen soll, strukturellen Rassismus aufzudecken und gleichzeitig das gemeinsame Feiern von Vielfalt zu fördern.
Es ist als weiße Person nicht mehr nur eine Entscheidung für eine Frisur, sondern muss mit der nötigen Sensibilität und in diesem Bewusstsein getroffen werden. Ein Riesen-Dilemma zwischen Ethos, „critical whiteness“, Braids-Liebe und Respekt und Dankbarkeit vor dem Geschenk der Tante, mir auch Braids flechten zu wollen. Intensiv habe ich überlegt, wie ich damit umgehen soll und wie ich mir gleichzeitig die Freude an meinen wundervollen Braids nicht allzu sehr trüben lasse.
Als Unternehmerin kommen noch weitere Komponenten dazu. Denn ich bin ja angewiesen darauf, dass ich sichtbar bin und mich nicht verstecke. Wenn jemandem mein Stil früher nicht passte, dann bucht er/sie/dey mich einfach nicht und jemand anderes sucht vielleicht gerade genau jemanden wie mich jenseits der üblichen Konventionen. Und dennoch ist es diesmal anders, denn mein selbstgewählter Look betrifft möglicherweise nicht nur mich, sondern auch andere, jenseits von unterschiedlichen Geschmäckern.
Meine persönlichen „cultural considerations“
Das Privileg der Wahlfrisur
Eines der großen Themen bei der Debatte um Braids ist, dass es häufig bei Schwarzen* als unprofessionell wahrgenommen wird, während es bei Weißen als modischer Trend gelesen wird. BiPoC (Black, Indigenous, People of Color) Menschen werden aufgrund dieser Frisuren häufiger diskriminiert und offen benachteiligt. Viele Schwarze versuchen sich vielleicht auch deshalb dem westlichen „Default-Mode“, dem „kaukasischen“ Haar anzunähern, sei es durch chemische Haarglättung, andere teure Pflegeprodukte oder auch durch Perücken.
Deshalb ist es eben nur für Weiße „nur eine Frisur“. Für Menschen mit viel empfindlicherer Afro-Haarstruktur besteht dieses Privileg der Wahl nicht. Ihre Wahlmöglichkeiten sind entweder ein natürlicher Afro, Flechtfrisuren oder wenn sie lange Haare haben wollen, ist das nur über Braids mit Extensions, Rastas und kaukasische Hairstyles nur über Perücken oder durch aufwändige Glättung (wenn dauerhaft gewünscht, dann nur chemisch) möglich.
In mir steigt bis heute Mit-Freude auf, wenn ich die Freundin meiner Tochter sehe, wie glücklich sie ihre Braids nach hinten wirft, ein Privileg von langhaarigen Menschen, das sie zum ersten Mal auskosten kann. Auch ihre Mutter, natürlich frisch gebraidet von ihrer Schwester, ist so dankbar, dass sie einfach so morgens dem Paketboten die Türe öffnen kann, ohne vorher intensive Haarbändigungszeit zu benötigen. Da relativieren sich so manche „bad hair day“ Dramen mit „kaukasischem“ Haar.
Die Debatte um kulturelle Aneignung
Da ich selbst aus mehreren Kulturen stamme (Polen und Deutschland) und in engem Kontakt mit unterschiedlichsten Kulturen und Religionen großgeworden bin, habe ich viele unterschiedliche Aspekte in mein Leben integriert, die mir erst später als aus „anderen Kulturkreisen“ stammend bewusst geworden sind. Von daher hat es für mich immer etwas von einem Austausch und gegenseitiger Inspiration, die mich geprägt haben und bis heute prägen.
Meine Migrationsgeschichte sieht und hört man mir nicht direkt an, da sogar mein polnischer Familienname keine polnischen Konsonanten-Anreihungen vorzuweisen hat. Dennoch bin ich mit Rassismus großgeworden, der spätestens fühlbar wurde, wenn meine Eltern durch ihren Akzent als Ausländer:innen identifiziert wurden. Struktureller und Alltagsrassismus waren bei uns an der Tagesordnung und haben meine Wahrnehmung sensibilisiert.
So kann ich gut nachvollziehen, dass es bei dieser Debatte darum geht, dass wir Weißen uns unserer Privilegien bewusstwerden. Dies bedeutet nicht automatisch, dass wir auf etwas verzichten sollen, sondern dass es darum geht, strukturellen Rassismus und Ausbeutung sichtbar zu machen und nicht weiter fortzuführen, sondern aktiv zu bekämpfen.
Gerade bei Kulturgütern, die modische Komponenten vorweisen, geht es auch darum, die Doppelmoral aufzudecken wie zum Beispiel das Kopftuch als modisches Accessoire in der Fashionwelt zu feiern und gleichzeitig in deutschen Klassenzimmern zu verbieten. Oder eben auch darum, wenn Braids und Rastas bei Weißen als rein modischer Look eingeordnet werden und bei BiPOC Menschen in der Regel dadurch fühlbare Benachteiligung zementiert wird.
Wobei diese Argumentation auch nicht ganz stimmig ist, erinnere ich mich selbst an zahlreiche Polizeikontrollen, die gehäuft stattfanden, wenn weiße Menschen mit Rasta-Frisur dabei waren. Sobald eine BiPoC Person anwesend war, wurde übrigens so gut wie immer kontrolliert.
Profit durch die kulturelle Übernahme
Ein weiteres Problem dabei ist, dass weiße Menschen, gerade in der Pop- und Medienwelt, oft noch Profit aus der Übernahme von kulturellen Merkmalen schlagen, häufig sogar mehr als es BIPoC Menschen mit gleicher Leistung tun könnten. Die eindimensionale Übernahme kultureller Merkmale kann zudem zu verstärkter Pauschalisierung führen.
Während die einen sich feiern lassen, aber ihr Privileg und ihre Reichweite dann nicht nutzen um auf Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten hinzuweisen, erfahren Menschen aus diesem Kulturkreis tägliche Diskriminierung dazu.
Oft geht dies auch mit einer weißen Ignoranz einher, die sich gar nicht die Mühe machen will, die Hintergründe von kulturellen und spirituellen Merkmalen kennenzulernen oder die Hürden anzuerkennen, die marginalisierte Menschen für einen ähnlichen Erfolg überwinden müssen.
Dies ist vor dem Hintergrund unserer, und damit meine ich alle weißen Menschen, Kolonialgeschichte, etwas, was wir uns als offene, aufgeklärte, angeblich humanistisch gebildete Gesellschaft nicht mehr leisten dürfen. Der westliche Wohlstand beruht unter anderem auf der Ausbeutung unzähliger fremder Kulturen und dem Diebstahl derer Ressourcen – bis heute ein wenig aufgearbeitetes unrühmliches Kapitel der Menschheitsgeschichte, das auch noch nicht zu Ende ist.
Queen and happy me, after 9 h braiding session
Foto von Julia Teine
Meine Freude an kulturellem Austausch
Und nun? Jetzt freue ich mich an meinen bunten Braids, die mich neben ihrer eigenen Schönheit auch jedes Mal aufs Neue an die wundervolle Zeit, die ich im Kreis dieser Frauen verbringen durfte, erinnern.
Bei den stundenlangen Flecht-Sessions habe ich sehr genossen, dem fremden und doch schnell vertrauten Sprachklang zu lauschen, mehr über das Leben dieser Familie in Nigeria zu erfahren und wie die Regeln zu Haarfrisuren und Mode dort gehandhabt werden. Beim klassischen polnischen Festmahl konnten wir neue Geschmackserlebnisse servieren und einige Parallelen wie gleichzeitig Unterschiede der Kulturen feststellen.
Meine Freude an meiner neuen Frisur hält an, auch über die Abreise der Schöpferin heraus. So glücklich bin ich darüber, auch ganz pragmatisch über die Zeitersparnis einer immer schönen Frisur, dass ich schon den nächsten Flechttermin im naheliegenden Afro-Shop erfragt habe.
Ich bleib‘ dabei, weil es eben nicht nur ein modisches Accessoire für mich ist, sondern ein Lebensgefühl versinnbildlicht. Ich bin schon gespannt auf die Geschichten, die ich bei der nächsten langen Flecht-Session vielleicht erfahren darf.
*Weiß und Schwarz werden in diesem Text kursiv geschrieben, weil sie keine biologische Eigenschaft beschreiben, sondern eine politische und soziale Konstruktion